Die unvorbereitete Reporterin

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Als ich aus dem Übertragungswagen sprang, wehte mir ein Geruch von verwestem Fleisch, Fäkalien und verbranntem Gummi entgegen. Unwillkürlich würgte ich und hielt mich einen Moment am Türrahmen fest, so sehr zitterten meine Knie. Ich ließ meinen Blick über das Feld schweifen, auf dem Gestalten in gelben und orangefarbenen Schutzanzügen mit schlafwandlerischen Bewegungen umherirrten. Mit zitternden Fingern suchte ich nach dem Post-it, den mir John, mein Produzent, vor der Abfahrt auf den Handrücken geklebt und den ich in meiner Gesäßtasche verstaut hatte. Dachte ich auf jeden Fall.  Verdammt. Ich konnte die Notiz nirgends finden. Darauf wären die für die Berichterstattung dienlichen Fakten notiert gewesen. Jetzt musste ich improvisieren. Dass mir auch immer wieder solche Peinlichkeiten passieren mussten.

Der Kameramann hatte mittlerweile sein Equipment aus dem Wagen geholt und auf dem Stativ montiert. Er wedelte mit der Hand durch die Luft. »Fiona, geh noch ein paar Schritte nach rechts und etwas weiter zurück. Stopp! Gut so, perfektes Bild. Es kann losgehen.­« Er nestelte an seiner Kamera herum und hob eine Hand. »Bist du bereit? Liveübertragung in fünf, vier, drei …« Mit den Fingern zählte er zurück. Dann verstummte er und deutete die letzten Ziffern nur noch an. »… zwei, eins, go!« Er streckte mir den Zeigfinger entgegen und ich sah das rote Licht an der Kamera aufleuchten. Ich war auf Sendung.

»Guten Abend. Ich berichte live vom Schauplatz der Katastrophe im Biotech-Unternehmen … äh … außerhalb von Bloomingdale, Pennsylvania.« Mein Herz schlug mir bis zum Hals. Vor meinen Augen flimmerte es, als ich angestrengt in die Linse blickte. Da zuckte das rechte Augenlid. Nicht hinfassen! Der Text, der Text! »In der Anlage werden … äh … kritische … äh … Viren für die … äh …« Ich brach ab, wedelte vor meiner gerümpften Nase hin und her und versuchte, schräg zu grinsen. »Entschuldigung, der Gestank, der herüberweht, raubt mir den Atem.« Verdammt, weshalb wurden hier Viren gezüchtet? Wozu brauchte es überhaupt Viren? Sind das nicht Bakterien, die man für alle möglichen Dinge braucht? Viren sind doch Schädlinge. Schweinegrippeviren, Ebola, Spanische Grippe. Das sind Viren. Wozu also produzierten die hier Viren? Das hätte alles auf meinem Spickzettel gestanden. »Hier wurden Viren für die intergalak… internationale Zusammenarbeit des neuen neuronalen Netzwerks hergestellt, als offensichtlich eine Permutation stattfand und einen Prozess in Gang setzte, der zur Explosion der Fabrik führte.«

Plötzlich erzitterte der Boden. Hinter mir erklang ein tiefes Grollen, das aus der Erde zu kommen schien, das in ein immer gewaltigeres Krachen, Brechen von Felsgestein und Tosen überging und den Boden unter meinen Füßen immer heftiger erzittern ließ. Erschrocken blickte ich mich um. Hinter dem Wäldchen erhob sich eine Wölbung, die offenbar mit Gestrüpp und abgebrochenen Baumstämmen oder Pfählen bedeckt war.

Ich fasste mein Mic fester. »Wow, hier tut sich gerade etwas. Andrew, schwenk doch mal da hinüber. Die Anhöhe, die sich hinter dem Wäldchen erhebt, hat einen Durchmesser von mindestens dreißig Metern. Ich habe keine Ahnung … oh, jetzt wächst sie weiter in die Höhe. Da fällt eine Steilwand ab. Jetzt sieht man ein mit Gestrüpp bewachsenes Felsenband. Es … hören Sie auch diesen tiefen, krachenden Lärm, der aus der Erde kommt?«

Plötzlich traf mich eine Schockwelle, die mich beinahe zu Boden geworfen hätte. »Wow, das war heftig. Also das Ding, das da aus der Erde wächst …« In diesem Moment musste ich das Offensichtliche nicht mehr kommentieren. Der Atem stockte mir einmal mehr und meine Knie wurden wie Pudding. Was da aus der Erde heraufstieg, war ein riesengroßer Kopf aus Stein, Erde und Gestrüpp. Oder drehte meine Fantasie mit mir durch? Da waren doch Augen, eine Nase, ein Mund zu erkennen. Jetzt öffneten sich die bis anhin geschlossenen Augen, sodass Steine und Dreck wie ein Wasserfall herabfielen. Dem Kopf folgten Schultern und es dauerte nicht lange, bis die Gestalt zuerst den linken, dann den rechten Arm aus der Erde befreite. Ich musste immer höher hinaufschauen, als mir die Ungeheuerlichkeit der Situation bewusst wurde.

Das Ding öffnete seinen Mund und stieß einen langgezogenen Schrei aus, wobei Felsbrocken hervorquollen und auf die gelben Männlein auf dem Unglücksfeld prasselten. Sie stoben in alle Richtungen davon, konnten jedoch den riesigen Fäusten nicht entkommen, die jetzt nach ihnen griffen.

Ich drehte mich zur Kamera um. »Andrew, hast du das? Komm, lass uns abhauen. Dies war Fiona Stewart für Channel 8, Philadelphia.«

Andrew schaltete die Kamera aus, warf sein Equipment in den Ü-Wagen und hechtete zur Fahrertür. Ich saß schon drin, als er den Motor anließ und wie ein Irrer die schmale Straße hinunterpreschte, die wir vor einer halben Stunde nichtsahnend hochgefahren waren. Ich wagte nochmals einen Blick zurück und sah, dass die Gestalt nun auf zwei Beinen stand und etwa 300 Meter groß war.

»Fahr schneller, das Ding kommt hinter uns her.«

Szene „Die unvorbereitete Reporterin“ aus einem noch zu schreibenden Thriller von Martin Fischer. Es handelt sich um die Aufgabenstellung eines Schreibtrainers, die ich nach 15 Minuten abbrechen sollte, später aber noch etwas weitergeführt habe. Die Szene inspiriert mich, später einmal diesen Stoff wieder aufzugreifen und einen Thriller zu schreiben.

Die unvorbereitete Reporterin
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